«So wird es kommen, dass die Letzten die Ersten sind und die Ersten die Letzten.»

Grusswort zum Eidgenössischen Dank-, Buss- und Bettag vom 20. September 2020 / Es gilt das gesprochene Wort.

«So wird es kommen, dass die Letzten die Ersten sind und die Ersten die Letzten.»

 «So wird es kommen, dass die Letzten die Ersten sind und die Ersten die Letzten.»

Liebe Mitchristinnen und Mitchristen von der Ökumene! Es freut mich, Ihnen im Namen des Stadtrates am Eidgenössichen Dank-, Buss- und Bettag einmal mehr ein kurzes Grusswort überbringen zu dürfen. Als ich gehört habe, dass es heute um das Gleichnis der Arbeiter im Weinberg geht, habe ich mir gesagt: Mit der Weinproduktion kenne ich mich aus, schliesslich darf ich jedes Jahr mit meinen Stadtratskolleginnen und -kollegen den Stadtwein auswählen!

Als ich dann zusammen mit meiner Partnerin in der Bibel nachgelesen habe, ist mir natürlich klar geworden, dass es bei diesem Gleichnis um viel mehr geht als um den Wein. Und in einer ersten Reaktion ist es mir gleich gegangen wie wohl den meisten von uns. Ich habe es ungerecht gefunden, dass alle Arbeiter den gleichen Lohn erhalten haben – unabhängig davon, wie lange sie im Weinberg hart gearbeitet haben.

«Eine andere / neue oder unverschämte Gerechtigkeit» – so lautet der Arbeitstitel des heutigen Feiertages. Aber was heisst überhaupt gerecht? Diese Frage ist auch im sogenannten Lockdown gestellt worden in Zusammenhang mit den Löhnen verschiedener Berufsgruppen wie Pflegepersonal, Chauffeuren oder Verkäuferinnen, welche die Schweiz in dieser schwierigen Zeit am Laufen gehalten haben. Man hat also Lohnvergleiche angestellt – genau wie das auch die Arbeiter im Weinberg gemacht haben. Ich will mir keinesfalls anmassen, eine Wertung vorzunehmen. Was die Parabel zeigt, ist die Problematik des Vergleichens. Die Arbeiter, welche zuerst angefangen haben, haben zwar den vereinbarten Lohn erhalten. Aber der Vergleich mit denjenigen, welche für den gleichen Lohn weniger gearbeitet haben, hat sie geärgert. Denn das Vergleichen macht neidisch und blind für das, was eigentlich angemessen und gut ist. Wer immer alles relativ sieht und sich ständig mit anderen vergleicht, wird unzufrieden mit sich selber.

Das Gleichnis beinhaltet noch mehr Aspekte, wie die Taglöhner, welche auf dem Marktplatz nach Arbeit suchen. Als Sozialvorsteher denke ich da an die zahlreichen Arbeitslosen oder Sozialhilfebeziehenden, welche sich ebenfalls um eine Anstellung bemühen. Schliesslich zahlt der Gutsbesitzer allen so viel, wie sie zum Leben brauchen – und das unabhängig von der Arbeitsleistung. Daraus lässt sich ableiten, dass vor Gott alle gleich sind. Aus dieser Perspektive geht es weniger um Gerechtigkeit als um Gleichberechtigung. Am Ende werden alle gleichberechtigt sein – die Ersten, welche schon immer zu Gott gehalten haben, und die Letzten, welche mehr Zeit gebraucht haben, wie ich zum Beispiel. Mir ist nämlich erst in den letzten Wochen dank meiner Partnerin und dem wiedergefundenen Glauben vieles bewusst geworden.

Geschätzte Anwesende! Mit dieser wertvollen und persönlichen Erkenntnis bin ich am Ende meines Grusswortes. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen allen im Namen des Stadtrates einen besinnlichen Dank-, Buss- und Bettag.

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